Deep Learning ist bislang erst in der Testphase

Künstliche Intelligenz ist ein Trendthema. Viele Anwender fragen sich aktuell, was ihnen die Technologie eigentlich konkret bringt. Der Standardsoftwerker Godesys gibt Tipps, wie Unternehmen Hype und Wahrheit trennen.

Scharfe Worte: „Künstliche Intelligenz wird oft als Allheilmittel angepriesen. Bislang kommen aber oft nur Standardlösungen zum Einsatz, die für Marketingzwecke einen intelligenten Anstrich erhalten“, kritisiert Godelef Kühl, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Godesys AG. Mit der eigentlichen Technologie, also dem Deep Learning, das sich beispielsweise in der Sprach-, Verhaltens- oder Gesichtserkennung findet, habe dies nichts zu tun. Das Problem: Unternehmen mangle es bislang an den Möglichkeiten der Datenverarbeitung, um derartige Muster effektiv zu analysieren.“

Algorithmen, Maschinelles Lernen und Deep Learning

„Künstliche Intelligenz liegt dann vor, wenn ein Computer menschliche Intelligenz nachahmt und selbbsr eine Entscheidung zu trifft“, erläutert Kühl. Grundzüge davon seien bei betriebswirtschaftlichen Lösungen (ERP/Enterprise Resource Planning) schon sehr lange vorhanden. So könne beispielsweise ein ERP-System aufgrund von Lagerdaten und Absatzzahlen genau vorhersagen, welches Produkt nachbestellt werden muss. Diese Aufgabe manuell zu erledigen, sei bei einem großen Produktsortiment ein enormer Aufwand. „Die Kernkompetenz von ERP ist so betrachtet Künstliche Intelligenz“, so Kühl. „Dementsprechend können wir diesen Begriff immer dann nutzen, wenn ein Computer einen Algorithmus verarbeitet und zu einem Ergebnis kommt.“

Die nächste Stufe Künstlicher Intelligenz ist das Maschinelle Lernen, bei dem Entscheidungen auf Algorithmen und Erfahrungen basieren. Bei diesem Verfahren kommen Stochastik und historische Daten zum Einsatz. So lassen sich beispielsweise in der Lagerverwaltung mithilfe von Algorithmen und historischen Daten Trendprognosen aufstellen, wie sich der Absatz entwickeln wird.

Deep Learning arbeitet mit neuronalen Netzen

Noch einen Schritt weiter geht das Deep Learning. Hierbei trainieren Maschinen auf Basis eines neuronalen Netzes eigenständig und kommen zu Ergebnissen, die im Ursprungsalgorithmus nicht einprogrammiert sind. Beispiele für diese Variante sind Gesichts- oder Spracherkennung. „Für Deep Learning gibt es in derzeitigen ERP-Systemen noch keine wirklich funktionierenden Ansätze“, erklärt Kühl. Zwar seien Chatbots in Verbindung mit dem ERP durchaus möglich, aber aktuell sei diese Technologie oft noch zu kosten- und datenintensiv. Sie biete zudem keinen ausreichenden Effizienzgewinn und stelle daher für den Mittelstand keine Option dar.

Trotz dieser Hürden werben große ERP-Anbieter aktuell mit intelligenten Services. Die meisten Funktionen sind dabei laut Kühl alles andere als neu. „Auch wenn sie schon immer mit Algorithmen gearbeitet haben, bekommen ERP-Lösungen vom Marketing neuerdings das Etikett Künstliche Intelligenz“, warnt Kühl. „Mit fortgeschrittenen Funktionen wie Deep Learning, hat das nichts zu tun.“ Es sei wenig sinnvoll, einem Hype hinterherzujagen, wenn nicht klar ist, wo der Nutzen für das eigene Unternehmen liegen könnte. „Wer eine Geschäftssoftware oder andere IT-gestützte Verfahren einsetzt, der kann sich entspannt zurücklehnen, denn das ist ja im weitesten Sinne bereits Künstliche Intelligenz.“

Die Datenstrategie als Basis fundierter Entscheidungen

Die Basis von Deep Learning sind Milliarden an Datensätzen. In den meisten ERP-Anwendungen könnten Anwender ohne tieferes IT-Verständnis kaum Muster analysieren, weil sich Daten nicht effizient genug handhaben lassen. „Unternehmen müssen zunächst ihre spezifischen Anforderungen und Ziele definieren und dann eine Lösung für das Datenmanagement zu finden.“ erläutert Kühl.

Im Digitalmarketing lasse sich beispielsweise sich heute messen, wer wann und wie lange eine Webseite besucht und was bestellt. Nur die wenigsten Unternehmen nutzen diese Informationen bislang im Zusammenspiel mit ihrem ERP-System. Es seien daher neue Ansätze für Umgang, Analyse und Verknüpfung von Daten notwendig, ehe sich Künstliche Intelligenz erfolgreich realisieren lässt. Vor einem Projekt müssten sich die Verantwortlichen klarmachen, welche Daten für sie geschäftsrelevant seien und wie diese vorgehalten und verknüpft werden sollen. „Routenplanung oder Sprachintelligenz sind Beispiele, wie sich Business-Software intelligent erweitern lässt, wenn die richtigen Voraussetzungen geschaffen sind“, so Kühl.

Die Technologie ist noch in der Erprobungsphase

Trotz aller Bedenken sieht der Godesys-CEO ein großes Potenzial in Künstlicher Intelligenz. So beteiligt sich der Standardsoftwerker am Studienprojekt DeepScan der Universität Würzburg, das erforscht, wie sich Sicherheitsvorfällen in ERP-Datenbanken mit Maschinellem Lernen erkennen lassen. Diese Ansätze seien alle noch in der Erprobungsphase. Generell gebe derzeit keine Deep Learning-Anwendung, die im ERP-Umfeld wirkliche Wettbewerbsvorteile beinhalte. „Oft reichen die Datenmengen für die Mustererkennung nicht aus“, berichtet Kühl. Die Technologie könne nicht ihr volles Potenzial entfalten, solange Unternehmen nicht ihre Informationen über Kunden und Produkt kontrolliert zur Verfügung stellten „Ohne den Willen, betriebliche Informationen zu teilen, führt Deep Learning, zu bescheidenen Ergebnissen“, erläutert der Godesys-CEO. „Erstaunlicherweise setzen viele Skeptiker heute ohne Bedenken die Analysedienste amerikanischer Cloud-Plattformen ein“.

Generell gelte bei allen ERP-Angeboten – egal, ob mit oder ohne Künstliche Intelligenz: „Unternehmen sollten genau überlegen, was sie wirklich benötigen, und wo sich Marketing-Botschaften als heiße Luft entlarven lassen.“      Jürgen Frisch

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