Verbraucher ziehen Chatbots den Verkäufern vor

Bald könnten Sprachassistenten bei Verbrauchern beliebter sein als menschliche Berater. In einer Studie des Capgemini Research Institute erwarten 70 Prozent der Befragten, dass sie in drei Jahren lieber mit einem Chatbot als mit einem Verkäufer reden.

Trendwende: Bislang waren Verbraucher gegenüber Chatbots skeptisch eingestellt. Das könnte sich bald ändern. „Unsere Untersuchung zeigt, dass deutsche Verbraucher zunehmend Sprachassistenten für sich entdecken“, erläutert Achim Himmelreich, der bei Capgemini Unternehmen zum Thema Consumer Engagement berät. „Die Leute diktieren damit längst ihren Einkaufszettel und fragen ihr Smartphone sogar nach günstigen Krediten, am liebsten übrigens bequem vom Sofa aus.“ Was viele bei dem Thema noch übersehen: Wir reden hier nicht nur über Smart Speaker im Wohnzimmer, jeder hat Sprachassistenten inzwischen auch auf dem Handy. Wenn intelligente Chatbots mit Produkttests oder weiteren Hinweisen antworten, umso besser.“ Mit anderen Worten: Voice erobert bereits die frühen und mittleren Teile der Customer Journey vom klassischen Handel bis zur Finanzbranche und beeinflusst immer mehr, was schließlich gekauft wird – nur auf einem weiteren Kanal.“

Die Studie Smart Talk: How organizations and consumers are embracing voice and chat assistants verdeutlicht wie schnell sich die Technologie verbreitet. Demnach hat ein gutes Drittel der Deutschen (35 Prozent) im vergangenen Jahr erstmals einen Sprachassistenten genutzt. „Im Vergleich zu unserer Anfang 2018 veröffentlichten Studie können sich deutlich mehr Verbraucher vorstellen, dass Sprachassistenten innerhalb der nächsten drei Jahre zum Kanal ihrer Wahl werden“, erläutert Himmelreich. Sicherheit bleibe ein Thema: An den Sorgen der Verbraucher, wie sich Sprachassistenten auf ihre Privatsphäre und den Zugriff auf Daten auswirken, habe sich wenig geändert. „Jetzt wo Conversational Commerce zum Mainstream wird, müssen Unternehmen sich jedoch stärker bemühen, diesen Bedenken Rechnung zu tragen.“

Für die Studie hat das Capgemini Research Institute mehr als 12.000 Verbraucher befragt – davon 1.266 in Deutschland – die entweder einen Sprachassistenten oder einen Chat-Assistenten für Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen verwendet haben und weiterhin nutzen. Die untersuchten Einsatzbereiche waren Konsumgüter und Einzelhandel, Privatkundenbankgeschäft und Versicherung sowie Automobil. Darüber hinaus wurden 1.000 Führungskräfte aus diesen Branchen nach ihrer Meinung zu Akzeptanz, Umsetzung und Zufriedenheit von Voice-Schnittstellen befragt, einschließlich reiner Online-Marktteilnehmer. Die Untersuchung folgt auf eine 2017 von Capgemini durchgeführte Studie zu Sprachassistenten.

Die Verbreitung bleibt hinter Begeisterung zurück

Viele Unternehmen haben die Vorteile erkannt und schätzen Gesprächsassistenten inzwischen als entscheidend für die Kundenbindung und das gesamte Kundenerlebnis ein. Mehr als drei Viertel (76 Prozent) konnten nach eigener Aussage einen Mehrwert aus Sprach- oder Chat-Assistenten ziehen. Knapp sechs von zehn Unternehmen (58 Prozent) gaben an, dass ihre Erwartungen erfüllt oder sogar übertroffen wurden. So konnten beispielsweise die Kosten für den Kundendienst durch digitale Assistenten um mehr als 20 Prozent gesenkt werden, gleichzeitig stieg deren Nutzung durch die Verbraucher um 20 Prozent.

Obwohl Unternehmen sowie Verbraucher von den Vorteilen überzeugt sind, scheint die tatsächliche Verbreitung hinter der Begeisterung und Nachfrage zurückzubleiben, so die Studie. Weniger als die Hälfte der Top-100-Player in den Bereichen Automobil, Konsumgüter und Handel sowie Banken und Versicherungen nutzen Sprachassistenten, dasselbe gilt für Chats.

Erfahrung mit Sprachassistenten treibt die Nachfrage hoch

Ein Vergleich der Ergebnisse von 2017 und 2019 mit Blick auf die vier großen Märkte USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland zeigt den wachsenden Einsatz von Sprachassistenten für unterschiedliche Zwecke. Dazu zählen inzwischen der Einkauf von Lebens-, Wasch- oder Reinigungsmitteln (stieg von 35 Prozent auf 53 Prozent), der Kundenservice nach dem Kauf (von 37 Prozent auf 52 Prozent) und auch der Zahlungsverkehr für Produkte oder Dienstleistungen (von 28 Prozent auf 48 Prozent). Die Studie ergab zudem, dass Verbraucher sich zunehmend positiv über die Erfahrung mit Gesprächsassistenten äußern: Waren 2017 noch 61 Prozent der Verbraucher zufrieden mit der Nutzung eines sprachbasierten persönlichen Assistenten wie Google Assistant oder Siri auf ihren Smartphones, sind es 2019 bereits 72 Prozent. Darüber hinaus zeigen sich in diesem Jahr 64 Prozent der Verbraucher mit sprachgesteuerten intelligenten Lautsprechern wie Google Home oder Amazon Echo zufrieden (46 Prozent in 2017), 57 Prozent begeistern sich für sprach- und bildschirmgestützten Sprachassistenten wie Amazon Echo Show und Amazon Fire TV (44 Prozent in 2017). Die Zahlen für Deutschland fallen ähnlich aus.

Bequemlichkeit und Personalisierung als Erfolgsfaktoren

Haben sie erstmal ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, sind die Verbraucher auch bereit, einen Schritt weiterzugehen, bis hin zu einer stärkeren Personalisierung und emotionalen Bindung. Mehr als zwei Drittel (68 Prozent) bestätigten, dass ein Sprachassistent ihnen Multitasking und die freihändige Durchführung von Aufgaben erleichtert. 59 Prozent der Befragten aus Deutschland glauben zudem, dass Chat-Assistenten sich im Laufe der Zeit besser an ihre Benutzer anpassen (weltweit 60 Prozent). 56 Prozent wollen ihren Sprachassistenten personalisieren (weltweit 58 Prozent), 53 Prozent wollen ihm einen Namen geben (weltweit 55 Prozent) und 52 Prozent würden gar gern einen Charakter auswählen (weltweit 53 Prozent). Verbraucher wünschen sich also eine menschenähnlichere Interaktion mit ihren Assistenten.

Stan Sthanunathan, Executive Vice President bei Unilever leitet aus diesen Ergebnissen ab, dass Unternehmen künftig Sprachassistenten einsetzen sollten: „Die größte Erfahrung, die wir gemacht haben, ist es, Gesprächsschnittstellen nicht als Heilmittel für all die Probleme zu betrachten, sondern sie stattdessen zu nutzen, um die menschliche Intelligenz zu erweitern. Das macht sie viel produktiver.“ Sprach- oder Chat-Bots könnten mit mehreren Personen gleichzeitig kommunizieren, und so dazu bei tragen, die Belastung unserer menschlichen Mitarbeiter zu reduzieren. Die Interfaces lösten zwischen 20 Prozent und 30 Prozent der Anfragen, bevor sie die menschlichen Agenten erreichten.

Capgemini identifiziert vier kritische Erfolgsfaktoren für Unternehmen, die sich die wachsende Begeisterung für Voice zunutze machen wollen:

  • Das richtige Gleichgewicht zwischen menschlichen und robotergestützten Interaktionen finden, um den Dialog zu intensivieren: Fast die Hälfte der Verbraucher wäre loyaler gegenüber einem Unternehmen – und würde eine höhere Konsumbereitschaft – zeigen, mit einer menschenähnlicheren Künstlichen Intelligenz.
  • Gesprächsassistenten mit zusätzlichen Funktionen wie Bildern/Videos: Fast zwei Drittel der Verbraucher gaben an, dass mehr Informationen es ihnen leichter machen würden. Gefragt sind vor allem Bilder (63 Prozent der Verbraucher), Videos (64 Prozent) oder auch mehr Text (65 Prozent).
  • Das Vertrauen der Verbraucher gewinnen: Während Verbraucher zunehmend bereit sind, den Empfehlungen von Gesprächsassistenten zu vertrauen, bleibt die Sorge um Privatsphäre und Sicherheit Bei einem geringen Involvement würden 63 Prozent der deutschen Befragten ihrem Sprachassistenten bei Produktempfehlungen vertrauen (weltweit 54 Prozent), dagegen 46 Prozent denen eines Verkäufers (weltweit 49 Prozent). Jeder zweite Deutsche und 46 Prozent der Befragten weltweit befürchten, dass ihre Sprachassistenten im Hintergrund ihre privaten Gespräche belauschen.
  • Talente entwickeln in drei Schlüsselbereichen: Experience Design, Architektur/Technologie und Legal/Compliance – neben der Kultur sind digitale Fähigkeiten die größte Herausforderung für Unternehmen.       Jürgen Frisch

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