SAP S/4HANA braucht noch Jahre bis zum Mainstream

In SAP S/4HANA wollen mittelfristig lediglich 14 Prozent der DSAG-Mitglieder investieren. DSAG-Vorstandsvorsitzender Marco Lenck begründet das unter anderem mit offenen Fragen. Die Services zur Schätzung des Migrationsaufwands kommen derweil gut an.

Über ‚SAP HANA-Fatigue‘ berichtet der Analyst Vinnie Mirchandani in den USA. Demnach halten dort viele SAP-Kunden die In-Memory-Datenbank zwar für eine interessante Technologie, aber nicht für die Antwort auf sämtliche Schwierigkeiten mit ihren SAP-Systemen.

Selbstverständlich ist SAP S/4HANA nicht die Antwort auf sämtliche Probleme mit einem SAP-System. Wenn Unternehmen beispielsweise Schwierigkeiten mit der Integration haben oder mit nicht korrekt abgebildeten Prozessen, dann haben sie diese auch mit SAP S/4HANA. Dennoch bietet das neue System große Chancen. Bestimmte Auswertungen sind einfacher und schneller, weil das vereinfachte Datenmodell weniger Redundanzen aufweist.

Wie hoch ist inzwischen das Interesse der DSAG-Mitglieder an SAP S/4 HANA?

In unserer Investitionsumfrage haben 5 Prozent der Unternehmen SAP S/4HANA als ihren Hauptinvestitionsbereich bezeichnet, weitere 9 Prozent verweisen auf Investitionen im mittleren Bereich. Mit zusammen 14 Prozent ist SAP S/4HANA heute definitiv kein Mainstream in den Unternehmen und wird es auch so schnell nicht werden. Schließlich kommt der Wechsel eines ERP-Systems einer Operation am offenen Herzen gleich. Viele Unternehmen sind zurückhaltend, unter anderem deshalb, weil noch viele Fragen zur Migration offen sind.

Den Mangel an Business Cases hatten Sie in den vergangenen Jahren für das eher verhaltene Interesse an SAP S/4HANA verantwortlich gemacht und von der SAP konkrete Erfolgsbeispiele und Musterlösungen gefordert. Die Walldorfer wollten als Teil des Updates im November 2015 für SAP S/4HANA Musterlösungen liefern, die den geschäftlichen Mehrwert aufzeigen. Reicht Ihnen das aus?

Nein, das reicht noch nicht aus. Im November-Update hat die SAP die Datenstrukturen massiv vereinfacht und sie haben mehr Transaktionen mit SAP Fiori abgebildet. Das bildet die Grundlage für Business Cases. Grundlegend neue Möglichkeiten für Applikationen, beispielsweise in der Logistik, die folgen erst in der zweiten Welle. So war das auch im Finanzbereich. Eine Veränderung der Transaktionen sowie die Rückwärtsintegration der Planung in den ERP-Standard erwarten wir im Herbst-Update 2016.

„SAP S/4HANA ist heute definitiv kein Mainstream und wird es auch so schnell nicht werden“, berichtet Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der SAP-Vereinigung DSAG. „Der Wechsel eines ERP-Systems kommt einer Operation am offenen Herzen gleich, und zudem stehen zur Migration auch noch viele Fragen offen.“ Quelle: DSAG

„SAP S/4HANA ist heute definitiv kein Mainstream und wird es auch so schnell nicht werden“, berichtet Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der SAP-Vereinigung DSAG. „Der Wechsel eines ERP-Systems kommt einer Operation am offenen Herzen gleich, und zudem stehen zur Migration auch noch viele Fragen offen.“ Quelle: DSAG

Ebenfalls mit dem Update im Herbst 2015 wollte die SAP aufzeigen, wann welche Branchenlösung im Code auf SAP S/4HANA migriert wurde. Wie kommt das bei den DSAG-Mitgliedern an?

Hier ist mehr passiert. Als Teil der Renovierung sind viele redundante Strukturen bei Daten und Applikationen entfernt worden. Es gab auch bereits Rückführungen von industriespezifischen Funktionalitäten in den Standard von SAP S/4HANA sowie erste Simplifizierungen. Wir gehen davon aus, dass das sukzessive fortgeführt wird. Dennoch wird es weiterhin Industrielösungen geben. SAP folgt hierbei dem Prinzip ‚von den Branchenlösungen hin zu Lösungen für Branchen‘, was nichts anderes bedeutet, als das Funktionalitäten, die ursprünglich für eine Branche x entwickelt wurden, unter Umständen auch für eine Branche y sinnvoll sind und deshalb in den Standard wandern. Im Herbst hatte SAP die Verfügbarkeit der Branchenlösungen unter SAP S/4HANA bekanntgegeben. Die Roadmaps für die Branchen sind weiterhin im SAP Servicemarketplace verfügbar. Dort können sich Interessierte einen ersten Überblick über die Weiterentwicklungen der für ihre Branche relevanten Lösungen und Funktionalitäten informieren.

Im vergangenen Jahr haben DSAG-Mitglieder von der SAP Services gefordert, mit denen sie den Aufwand einer Migration vorab schätzen und die Migration selbst zumindest teilweise automatisieren können. Auch das wollte die SAP zusammen mit dem November-Update liefern. Konnten Sie mit diesen Services bereits Erfahrungen sammeln?

Ja, ich habe mit diesen Services bereits im Unternehmen Erfahrungen gesammelt. Sie sind eine gute Hilfe. Es gibt darin ein automatisiertes Tool, das den Code und die Datenstrukturen eines Systems überprüft und einen Simplification Guide, der auf 260 Seiten im Detail beschreibt, wo die SAP künftig Vereinfachungen vornimmt. Nun geht es darum, diesen Service einer großen Zahl von Unternehmen bereit zu stellen. Und darum, die vielen Fragen zum Guide in der Community zeitnah zu beantworten.

Laut SAP erfüllt SAP S/4HANA zumindest in Teilen die Funktionen eines Business Warehouse. Können sich denn die Unternehmen dann tatsächlich eine Implementierung von SAP BW sparen?

Das kommt darauf an. Wenn ich Daten aus mehreren Systemen integrieren und konsolidieren will, dann ist weiterhin ein Data Warehouse nötig. Die Live Views von SAP S/4HANA können ja nur die im System enthaltenen Daten auswerten. Langzeit-Analysen mit konsolidierten Daten sind damit nicht möglich. Auch für Big Data ist ein SAP BW erforderlich. Wenn sich ein Unternehmen allerdings ausschließlich auf das operative Reporting beschränkt, dann kommt es alleine mit SAP S/4HANA sehr weit. Die Live Views sind sogar schneller, weil sie die Daten direkt im System analysieren ohne sie vorher von A nach B zu kopieren. Die Live Views sind demzufolge eine gute Ergänzung zum Data Warehouse. Detailfragen zum Thema SAP S/4HANA und SAP BW beantwortet ein Positionspapier der DSAG.

Nutzen denn überhaupt noch Anwender SAP BW ohne SAP HANA oder ohne den SAP BW Accelerator?

Ja, SAP BW ohne SAP HANA ist nach wie vor massiv im Einsatz. Der SAP BW Accelerator allerdings hat heute nur noch historische Bedeutung. Unternehmen, die diese Lösung nutzten, haben inzwischen auf SAP BW on HANA umgestellt, weil das technologisch das bessere System darstellt und sie zudem ihre bisherigen SAP-BW-Lizenzen dabei anrechnen können. Das erleichtert die Migration aus kaufmännischer Sicht.

Der DSAG-Technologievorstand fordert die Verfügbarkeit von SAP S/4HANA auf weiteren Datenbanken. Sehen Sie dafür eine Bereitschaft seitens der SAP?

Die Bereitschaft der SAP ist da. Sobald andere Datenbanken sämtliche Funktionen von SAP HANA abbilden, wollen die Walldorfer auch diese zulassen. Stand heute gibt es allerdings keine In-Memory-Datenbank, die diese Forderung erfüllt. Die DSAG würde sich vom Markt eine Vielfalt wünschen. Für andere Datenbankhersteller wird es allerdings nicht einfach, die Bedingungen der SAP zu erfüllen. Wenn sich die Datenbanken anderer Anbieter nicht in der Funktionalität von SAP HANA differenzieren oder sich preislich deutlich unterscheiden, bleibt die Frage offen, warum sie das Gleiche nachbauen sollen.

SAP verlagert nach und nach Kernfunktionen der Software in die Datenbank. Würde die Verfügbarkeit mehrerer Datenbanken nicht die Komplexität steigern?

Das würde nur dann passieren, wenn die Kernfunktionalitäten in der alternativen Datenbank anders ablaufen als in SAP HANA. Und genau das wird SAP vermeiden. Schon in relationalen Datenbanken hätte man über Stored Procedures herstellerspezifische Funktionen ansprechen können. Das hat die SAP nicht getan, um sich nicht in eine Abhängigkeit von diesem Datenbankhersteller zu begeben. Bei SAP HANA hingegen lassen die Walldorfer die Datenbank möglichst viele Funktionen erledigen. Aber der Preis für alternative Datenbanken darf nicht sein, dass die Komplexität steigt.

SAP Cloud-Produkte und die SAP HANA Cloud Platform rangieren in der Investitionsumfrage weit hinten. Worauf führen Sie diese Skepsis zurück?

SAP-Cloud-Produkte werden als ergänzende Lösungen zum ERP-System eingesetzt. 10 Prozent der Unternehmen benennen das als `mittlere Investitionen`. Dieser Wert zeigt, dass in diesem Bereich ein reger Wettbewerb herrscht und sich diese Unternehmen auch bei anderen Herstellern bedienen. Bei der HANA Cloud Platform gehe ich davon aus, dass der Markt das Produkt noch nicht verstanden hat. Dazu trägt wohl auch der Name bei, der suggeriert, dass das Produkt auf SAP HANA basiert oder ich dazu SAP HANA brauche. Beides ist nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um eine Entwicklungsplattform in der Cloud, auf der ich beliebige Systeme integrieren und dabei zwischen der Applikationsebene und der Datenebene trennen kann. So lassen sich innovative Geschäftsmodelle abbilden. Dieses Produkt muss die SAP dem Markt einfach besser erklären.

Die HANA Enterprise Cloud, also das Hosting von SAP S/4HANA, kommt ebenfalls nur auf eine geringe Akzeptanz. Warum das?

Knapp 50 Prozent der Unternehmen benennen massive Schwierigkeiten damit, ein komplettes ERP-System in die Cloud zu verlagern. Laut unserer Umfrage hemmt die Gefahr potenzieller Industriespionage solche Investitionen. Anders gesagt: Aufgrund des Datenschutzes und des Schutzes geistigen Eigentums investieren Unternehmen derzeit lieber in On-Premise-Lösungen. jf

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