Händler suchen Mobil-Apps, Analytik und Workflows

Beschaffungsprojekte für Warenwirtschaftslösungen sind ebenso vielfältig wie das Angebot. Die ERP-Auswahlspezialisten Trovarit und Prof. Becker zeigen typische Anforderungen der Anwender im Handel auf. (Ausgabe 6+7/2013)

Einen guten Eindruck von den Markttrends und Themen, die Handelsunternehmen im Bereich der warenwirtschaftlichen IT-Unterstützung beschäftigen, bekommt man, wenn man die konkreten Kernanforderungen von Handelsunternehmen in Auswahl- und Einführungsprojekten betrachtet. Neben Hype-Themen, die innovative Hersteller durch Marketingaktivitäten in den Markt drücken, finden sich dabei auch weniger spektakuläre – gleichwohl nicht weniger wichtige – Trends.

Trend 1: Mobile Anwendungen mit iPhone & Co

In der Kommunikation mit den Kunden, aber auch für die interne Nutzung fordern Unternehmen eine Verknüpfung der Warenwirtschaft mit mobilen Anwendungen. Einzelhändler nutzen derartige Apps beispielsweise für die In-Store-Navigation mit ergänzenden Informationen über Produkt und Verfügbarkeit oder auch für die Kaufprozessoptimierung, zum Beispiel über Kundenkarten oder mobile Bezahlverfahren mit NFC-Technologie (Near Field Communication). Unternehmensintern kommen mobile Anwendungen zum Beispiel als Unterstützung der Mitarbeiter in der Verkaufsfläche (Produktinformationen, Verfügbarkeit, Cross-Selling) zum Einsatz. Nötig dafür sind einerseits mobile Anwendungen und Apps der Anbieter und andererseits offene Schnittstellen und Web Services als technologische Voraussetzung, um Anwendungen von Drittanbietern einzubinden.

Trend 2: Big Data

Das Schlagwort „Big Data“ beschreibt die Sammlung und Analyse von großen, oftmals nur halb-strukturierten Datenmengen. Im Handel gehören hierzu vor allem Informationen über die Kunden und ihr Kaufverhalten. Hierbei geht es um detaillierte Informationen über die Käufe und betrachtete Produkte im eigenen Web-Shop. Auch die Teilnahme und Reaktion auf Marketingmaßnahmen ist von Interesse. Durch dieses Wissen versprechen sich die Händler einerseits eine bessere und gezieltere Ansprache der einzelnen Kunden zu Themen und Produkten. Andererseits  sind diese Informationen wichtig für die Optimierung des eigenen Warenangebots und der Warenpräsentation im stationären Handel und im Webshop. Anforderungen an die Warenwirtschaftslösungen sind dabei vor allem dynamische Verfahren, die aus den großen Datenmengen Erkenntnisse ableiten. Die Händler wollen beispielsweise wissen, wie sich aus den gekauften Produkten eines Kunden weitere für ihn interessante Produkte ableiten lassen oder welche Cross- und Upselling-Artikel im Webshop jeweils angezeigt werden sollen.

Trend 3: Workflow-Unterstützung

Das Thema Workflow-Unterstützung ist von erheblicher praktischer Bedeutung für die Ausgestaltung einer effizienten IT-Unterstützung im Handel. Immer mehr Handelsunternehmen fordern integrierte Workflow-Logiken von ihrer Warenwirtschaftslösung. Bei der Vielzahl der Geschäftsvorfälle, Artikel, Lieferanten und Kunden in Handelsunternehmen müssen arbeitsteilige Prozesse in der Warenwirtschaft effizient unterstützt und kritische Vorgänge einfach identifiziert werden. Zudem sollte es möglich sein, Vorgänge – entsprechend zuvor definierten Abläufen – einfach an andere Mitarbeiter weiterzuleiten und Folgeaktivitäten (etwa die der Lieferantenbestellung bei Sonderwünschen der Kunden) einfach anzustoßen. Ebenso lassen sich über Workflow-Logiken flexible Freigabeprozesse und die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips realisieren. Idealerweise sollten den einzelnen Mitarbeitern direkt im Warenwirtschaftssystem rollenbasierte Aufgabenlisten zur Verfügung stehen, die sie proaktiv auf abzuarbeitende Vorgänge hinweisen. Verschiedene Software-Anbieter haben diesen Ansatz als zentrale Produktphilosophie umgesetzt. In Kombination mit einem automatischen Exception Handling durch das System (beispielsweise automatische Hinweise auf überfällige Lieferungen oder fehlende Ware für bevorstehende Werbeflyer) müssen sich die Mitarbeiter dann weniger mit dem Suchen von Problemen als mit dem gezielten Abarbeiten der systemseitig automatisch identifizierten Lösungsvorschläge beschäftigen.

Trend 4: Tiefe Funktionalität

Nie waren die Anforderungen an die Funktionstiefe und -breite von IT-Lösungen so groß wie heute. Einerseits sind in den vergangenen Jahren immer neue Themenfelder hinzugekommen, welche die Funktionsbreite dieser Lösungen erheblich ausgeweitet haben. So ist beispielsweise ein Warenwirtschaftssystem ohne eine enge Verzahnung mit dem Web-Shop heute kaum mehr vorstellbar. Im Bereich der mobilen Lösungen und Apps beginnen die Handelsunternehmen gerade erst, umfassende Anforderungen zu generieren. Andererseits nimmt die Komplexität und Vielfalt der Geschäftsprozesse im Handel ständig zu – auch bedingt durch neue Möglichkeiten, welche die IT erst geschaffen hat.
Betrachtet man exemplarisch die Einkaufsprozesse, so wird diese Vielfalt mit ihren oftmals lieferantenspezifischen Prozessausgestaltungen und Vereinbarungen deutlich: Selbst kleine Handelsunternehmen nutzen heute nebeneinander Lieferantenkonsignationsmodelle mit Warenversorgung auf Basis von Sales Reports, automatische NOS-Bestellungen (Never out of Stock), Rahmenvereinbarungen/Blockaufträge mit Sonderkonditionen sowie klassische manuelle Bestellungen. Die Herausforderungen stecken hierbei im Detail: Der eine Lieferant unterstützt Konsignation nur für eine seiner beiden Marken; der nächste erlaubt Konsignation nur im stationären Handel, nicht aber für den Webshop.
Aber der Handel ist nicht nur im Bereich der Einkaufs- und Verkaufskonditionen kreativ und komplex. Auch die Prozesse sind – vielfach bedingt durch die Geschäftspartner – vielfältig und variantenreich. Moderne Warenwirtschaftslösungen müssen dies im Standard vorsehen und eine entsprechende Funktionstiefe mit parametrisierbaren Prozessvarianten bieten.
Nicht nur große Handelskonzerne, sondern auch kleinere und mittlere Betriebe stellen heute umfassende Anforderungen an die Unterstützung ihrer Warenwirtschaft durch die IT. Auch sie beschäftigen sich mit iPhone & Co, müssen zunehmend vielfältigere Geschäftsprozessvarianten mit ihren Lieferanten und Marktpartnern abdecken und stellen Kundenanalysen sowie gezielte Kundenansprachen und Marketingaktivitäten in den Vordergrund.
Für die Software-Anbieter ergibt sich aus der hohen Erwartungshaltung der Anwender das Problem, dass die Entwicklung komplett neuer Branchenlösungen immer schwieriger wird und die Markteintrittsbarrieren für neue Software immer höher werden. Einerseits haben konzeptionell gut strukturierte und auf modernen Software-Architekturen und Entwicklungsumgebungen basierende Warenwirtschaftssysteme deutliche Vorteile gegenüber langjährig gewachsenen Lösungen, die ihre Ursprünge in den achtziger und neunziger Jahren haben. Hinsichtlich der Funktionalität benötigen die Anbieter bei solchen neuen Lösungen allerdings oft fünf Jahre und mehr, um sich dem Funktionsumfang der Produkte ihrer etablierten Wettbewerber zu nähern. Dabei fällt es ihnen schwer, funktionsverwöhnte Bestandskunden ihrer eigenen bisherigen Lösungen zum Umstieg auf ein neues Produkt zu gewinnen. In Summe führt dies dazu, dass in den vergangenen Jahren nur wenige umfangreiche Warenwirtschaftslösungen komplett neu entwickelt wurden. Stattdessen setzen die Anbieter auf eine permanente Weiterentwicklung ihrer existierenden Produkte. Dadurch verlängert sich der Lebenszyklus der Lösungen. Dies ist durchaus im Interesse der Kunden, die vielfach Nutzungszeiten von mindestens 10 bis 15 Jahren anstreben.
Insgesamt ist ein Wechsel des Warenwirtschaftssystems kein reiner Standardsoftwarekauf, sondern noch immer ein komplexes IT- und Organisationsprojekt, das eine sorgfältige Auswahl der Lösung erfordert. Dass der Markt eine erhebliche Anzahl und Vielfalt an Warenwirtschaftssystemen bietet, zeigt die Produktübersicht auf den folgenden Seiten. Der erste Schritt auf dem Weg zu einem erfolgreichen Einführungsprojekt ist die Identifikation der potenziell passenden Lösungen. jf

Übersichtstabelle „Überblick Enterprise Resource Planning (ERP) für den Handel“ (pdf)

 

Die Autoren

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Dr. Karsten Sontow (links) ist Vorstand der Trovarit AG. Dr. Oliver Vering (rechts) ist Mitglied der Geschäftsleitung bei der Prof. Becker GmbH.

 

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