Geocodierung macht Analysen räumlich

Location Intelligence beschreibt, wo sich ein Kunde, Lieferant, Partner oder Produkt befindet. Das Erkennen und die Prognose räumlicher Muster und Trends ermöglicht innovative Geschäftsmodelle. (Ausgabe 6+7/2013)

Traditionelle Business-Intelligence-Lösungen geben Antworten auf das „Wer, Was und Warum“. Die Frage nach dem „Wo“ wird darin weder gestellt, noch beantwortet. Hier setzt Location Intelligence an, die eine sinnvolle Anreicherung, Aufbereitung und Visualisierung von Daten in räumlichem Bezug ermöglicht. Raum wird zu einer neuen Dimension in der Business Intelligence. Das bedeutet beispielsweise für Adressdaten eine Datenqualität, die über traditionelle Referenzdaten hinausgeht. Jetzt lässt sich jede Adresse in einer Karte darstellen und mit räumlichen Ausprägungen in Beziehung setzen. Der Nutzen ist das Erkennen von ortsbezogenen Mustern und Trends durch Visualisierung, Analyse und Vorhersage.
Location Intelligence verfolgt das gleiche Ziel wie Business Intelligence: Aus Daten sollen Information werden, aus Information Wissen und aus Wissen wiederum sollen sich Entscheidungen und Aktionen zur Steuerung des Unternehmens ableiten. Location Intelligence lässt sich bei rein analytischen, dispositiven Fragestellungen einsetzen und darüber hinaus operativ und in Echtzeit in Geschäftsprozesse einbetten.

Wertschöpfung durch Location Intelligence bei Banken
• Nutzen einer Karte: Die Darstellung von Bankkunden auf einer Karte hilft, Potenziale und Risiken rechtzeitig zu erkennen. Bei der Neukundengewinnung gibt der Wohnort Auskunft über das Milieu und soziale Umfeld. Die Konsequenz daraus ist ein Wohngebiets- und Kundenprofil-bezogenes Produktangebot. Diese Information unterstützt auch Entscheidungen über das Öffnen neuer und das Schließen bestehender Zweigstellen.
• Anreichern von Unternehmensinformation: Durch die Kombination von geographischer Information mit anderen Geschäftsdaten kann eine Bank Vertriebsgebiete bewerten und optimieren. Sie kann ihre Marktanteile darstellen und basierend auf diesen Informationen Kennzahlen zur Vertriebssteuerung ableiten. Das Verstehen und Kennen von Potenzialen aufgrund von Lokalisierungen ermöglicht präzise Marketingaktionen.
• Ergänzen von Business Intelligence: Aus Location Intelligence lassen sich Kennzahlen zur strategischen Unternehmenssteuerung ableiten. Simulationen ermöglichen portfoliobezogene Potenzialbewertungen, die als Basis für das Design und für Anpassungen bei Produkten und Dienstleistungen dienen.

Frühere Geographische Systeme haben sich nicht durchgesetzt

Geographische Informationssysteme zeigen seit Jahren, dass die Frage nach dem Ort, also nach dem „Wo“, in der Business Intelligence seit jeher nicht nur Berechtigung, sondern auch Bedeutung hatte. Derartige Systeme konnten sich allerdings im Markt nicht durchsetzen. Mit Location Intelligence düfte das anders werden. Der erste Treiber für die neuen Systeme ist der Nutzer von Information, der in seinem täglichen Leben mehr und mehr an geographische Information gewöhnt wird und diese auch im Geschäftsleben nicht mehr missen will. Ohne Navigationssystem fährt kaum noch jemand mit dem Auto. Empfänger für Global Positioning Systems (GPS) finden sich auch in anderen mobilen Geräten wie Armbanduhren oder Smartphones. Mit geographischen Services wie Google Earth lässt sich alles geographisch darstellen, von eBay-Angeboten bis zu Lageplänen von Hotels, Restaurants und Golfplätzen. Im Konsumentenumfeld entstand daraus das Konzept des Kombinierens von räumlichen Daten mit Produkt- oder anderen Daten („Mashing Up“). Diese allgegenwärtige Geographie schafft einen neuen Sinn und Bedarf für geographische Information im Unternehmensumfeld.
Der zweite Treiber für Location Intelligence ist die steigende Verfügbarkeit und Granularität von geographischen und geospatialen Datenquellen. Big Data mit seinen Lokalisierungs- und Navigationsdaten aus dem mobilen Internet bietet ungezählte Quellen hochinteressanter Geodaten. Der dritte Treiber ist die einfachere Integration von räumlicher Information sowohl in Business Intelligence als auch in operative Unternehmenssoftware (ERP), insbesondere in Modulen zur Kundenbetreuung (CRM) und Logistiksteuerung (SCM). Dank Service-Orientierung und akzeptierten Schnittstellenstandards lässt sich der Raumbezug leichter denn je in existierende IT-Systeme einbetten. Die Informationen sind dann nicht nur an jedem Arbeitsplatz und mittels mobiler Geräte an jedem Ort verfügbar, sondern lassen sich auch mit anderen Unternehmensdaten kombinieren. Das wiederum kann neue Einsichten eröffnen.

Information, Zeit und Raum konvergieren

Mit Hilfe von Lokalisierungsdaten ermöglicht das mobile Internet eine Konvergenz von Information, Zeit und Raum. Information lässt sich nicht nur in einen zeitlichen, sondern auch in einen zeitlich-räumlichen Kontext stellen. Im Zuge von Big Data bietet die Geocodierung neue Nutzenpotenziale. So kann ein Händler zukünftig in einem realen Supermarkt seinen Kunden ähnliche Kaufempfehlungen geben wie es Webshops à la Amazon tun. Auf Basis von Lokalisierungsdaten weiß der Händler, welcher seiner Kunden sich in welchem Laden und vor welchem Regal in einem Supermarkt befindet. So kann er mittels Einladungen, Couponversendung, Produktvergleichen und Empfehlungen den Kunden begeistern und seinen Umsatz steigern. Kundenwissen wird in den Zeit/Raum-Kontext gestellt. Bei der cross-medialen Interaktion mit dem Kunden in Echtzeit verschmelzen die virtuelle und die reale Welt. Das ermöglicht innovative Geschäftsmodelle.
Geschäftsprozesse, die mittels Location Intelligence und durch die Kombination von Geocodierung und Lokalisierungsdaten entstehen, finden sich nicht nur im Handel, sondern in nahezu allen Branchen. In der Medizinbranche beispielsweise lassen sich Gesundheit mit Umwelt und Umwelteinflüssen verbinden. Im Finanzwesen lässt sich die Neukundengewinnung verbessern. Denn unterschiedliche Wohngebiete bedeuten unterschiedliche Kunden. Die Konsequenz daraus ist ein Produktangebot, das sich auf das Wohngebiets- und Kundenprofil bezieht.

Wertschöpfung durch Location Intelligence bei Logistikern
• Nutzen einer Karte: Die Nutzung von Karten sollte in Transport und Logistik eine Selbstverständlichkeit sein. Location Intelligence leistet mehr als Routenplanung. So bietet eine Route auch Potenzial zur Neukundengewinnung. Findet ein Unternehmen neue Kunden entlang einer häufig befahrenen Route, wird diese Route profitabler. Bei Pannen und Unfällen hilft Echtzeit-Location-Intelligence, schnell Hilfe durch Pannendienste, Rettungsfahrzeuge und Reparaturwerkstätten zu bekommen.
• Anreichern von Unternehmensinformation: Durch die Kombination von geographischer Information mit anderen Business-Daten kann ein Transport- und Logistik-Unternehmen Vertriebsgebiete bewerten und optimieren. Es kann seine Marktanteile darstellen und basierend auf diesen Informationen Key-Performance-Indikatoren zur Vertriebssteuerung ableiten. Die Verbindung von RFID(Radio Frequency Identification)-, GPS- und Standortdaten erlaubt ein Tracking von Containern, Güterwagen oder Lastkraftwagen. So lassen sich Leerfahrten vermeiden und neue Kundenaufträge aufgrund schnellerer Reaktionszeiten gewinnen.
• Ergänzen von Business Intelligence: Aus Location Intelligence lassen sich Key-Performance-Indikatoren zur strategischen Unternehmenssteuerung in der Transport- und Logistik-Branche ableiten. Mittels Simulationen entstehen portfoliobezogene Produkt-Service-Bewertungen, die als Basis für Vertrags- und Preisanpassungen dienen können.

Die Versicherungsbranche gewinnt mit Location Intelligence neue Einblicke in das Risikomanagement. So ist für die Prämienfestsetzung von Hausrat- und Gebäudeversicherungen entscheidend, ob der Versicherungsnehmer in einem Gebiet mit erhöhtem Risiko wohnt oder nicht. Im Schadenmanagement können Rettungsdienste und Reparaturwerkstätten aufgrund der Kenntnis des Schadensorts optimal für Hilfe und Abhilfe sorgen. In der Telekommunikation lassen sich mittels Location Intelligence die Standorte von Zweigstellen, Agenturen und Sendemasten optimieren.
Die Platzierung von Zweigstellen und Agenturen spielt in fast allen Branchen eine Rolle. Versorger profitieren im White-Spot-Marketing von Location Intelligence: Rechnungsrückseiten lassen sich kundenindividuell für lokale Werbung nutzen. Eine Geocodierung hilft dabei, die potenziellen Kontaktpunkte und Verkaufspunkte in der Nachbarschaft eines Kunden zu identifizieren. Auch in der öffentlichen Verwaltung gibt es eine Fülle von Einsatzpotenzialen für Location Intelligence, etwa die Muster­erkennung bei Kriminalitätsanalysen, die Verfolgung von Bewegungsdaten zum Auffinden gestohlener Autos oder die Wartung öffentlicher Infrastrukturen für Strom, Wasser und Gas.

Geocodierung gibt Adressdaten einen räumlichen Bezug. Mittels einer Raster-ID lässt sich die räumliche Information in zusätzliche semantische Kontexte wie Kaufkraft, Lifestyle oder Produktaffinität stellen. (Quelle: Team Martin)

Geocodierung gibt Adressdaten einen räumlichen Bezug. Mittels einer Raster-ID lässt sich die räumliche Information in zusätzliche semantische Kontexte wie Kaufkraft, Lifestyle oder Produktaffinität stellen. (Quelle: Team Martin)

Geocodierung fungiert als Basistechnologie

Die Werkzeuge von Location Intelligence sind die Geocodierung, also die Verortung von Daten, die beschreibende Kartographie, die Visualisierung und die analytische Kartographie bis hin zu Vorhersagemodellen. Geocodierung, auch Georeferenzierung genannt, ist die Positionsbestimmung eines oder mehrerer Punkte mittels Zuweisung von geographischen Koordinaten. Dabei lässt sich sowohl einer räumlichen Adresse als auch einer IP-Adresse ein Gebietsschlüssel (Ortsteil, Straße, Straßenabschnitt) und eine geografische Koordinate zuordnen. Mittels Geocodierung lassen sich Kunden über ihre Adressdaten auf einer Karte räumlich darstellen oder über ihre Navigationsdaten im mobilen Internet lokalisieren und verfolgen. Die Codierung von IP-Adressen macht es möglich, im mobilen Internet Nutzer räumlich zu identifizieren. Durch Geocodierung und Anreicherung mit externer raumbezogener Information wie Produktaffinitäten, Lifestyle, Kaufkraft oder sozio-demographische Information ergeben sich Einsichten, Strukturen und Muster, die sich bisher auch mit besten mathematischen Verfahren nicht hätten finden lassen.
Die Qualität der Geocodierung wird durch ihre Granularität und ihren Abdeckungsgrad bestimmt. Die Granularität beschreibt die geografische Genauigkeit (Adresse, Straßenabschnitt, Postleitzahl), der Abdeckungsgrad gibt an, von welchen geografischen Regionen Referenzdaten zur Geocodierung vorliegen. Mittels Geocodierung lassen sich Daten aus unterschiedlichen Datenquellen nicht nur räumlich darstellen, sondern auch um demographische, sozioökonomische oder kommerzielle Information erweitern. Diese Datenveredelung besteht im Wesentlichen aus vier Services:
• Geocodierung des Datenbestandes: Jede Adresse erhält eine Raum-Koordinate.
• Fehlerhafte Adressen oder Ortsangaben werden selektiert und mittels Datenbereinigungsservice validiert.
• Jeder Adresse wird eine eindeutige räumliche Raster-ID zugeordnet, die eine Vielzahl weiterer Attribute zur Soziodemographie, Kaufkraft, Produktaffinität oder zum Lifestyle liefert.
• Die so veredelten Kunden- oder Marktadressen werden in einem entsprechenden Business-Intelligence-Werkzeug kartographisch dargestellt. Alphanumerische Informationen und räumliche Informationen sind in diesem Werkzeug bi-direktional miteinander verknüpft.
Wie der zweite Schritt zeigt, ergänzt Geocodierung das Datenqualitätsmanagement: Eine Geocodierung wirkt wie ein Profiling und identifiziert Fehler in Adressdaten. Daher empfiehlt es sich, Geocodierungs- und Datenqualitätsmanagement-Services gleichzeitig einzusetzen. So schafft man Adressdaten mit höchster Datenqualität. Idealerweise sollten Unternehmen Geocodierungs-Services in Echtzeit gleich in die Datenerfassung einbauen. Geocodierungs-Services lassen sich sowohl mittels On-Premise-Software als auch als Cloud-Computing-Lösung im Rahmen von Software as a Service nutzen.

Dieser Screenshot zeigt die Verteilung der Wohnstandorte in einem Gebiet potenzieller Überschwemmungen. Die Versicherungen nutzen derartige Daten für die Berechnung der Prämien von Hausrats- und Gebäudeversicherungen. (Quelle: geoXtend GmbH)

Dieser Screenshot zeigt die Verteilung der Wohnstandorte in einem Gebiet potenzieller Überschwemmungen. Die Versicherungen nutzen derartige Daten für die Berechnung der Prämien von Hausrats- und Gebäudeversicherungen. (Quelle: geoXtend GmbH)

Angereicherte Daten erhöhen den Wert eines Data Warehouse

Der Nutzen von Location Intelligence besteht darin, komplexe Phänomene mittels räumlicher Beziehungen zu verstehen und zu organisieren. Geographische Beziehungen finden sich in nahezu jeder Information wie in Adressen, Standorten, Vertriebsgebieten, Marktzellen oder Routen. Rund 80 Prozent der Information im Unternehmen haben ex- oder implizit etwas mit Ortsangaben, dem „Wo“ zu tun. Durch die Kombination geographischer Daten mit anderen Business-Daten lassen sich durch den Raumbezug bessere Entscheidungen treffen, Geschäftsprozesse optimieren und sogar neu erfinden.
Der besondere Nutzen, der sich durch Location Intelligence sehr schnell erreichen lässt, wird deutlich, wenn Unternehmen innerhalb eines kundenzentrischen Data Warehouse durch Geocodierung räumliche Koordinaten zuordnen und ihren Kundenstamm räumlich darstellen können. Eine solche Verknüpfung von geographischen Information mit anderen Geschäftsdaten plus einer interaktiven Visualisierung erlaubt neue Einsichten und das Erkennen neuer Strukturen und Trends.
Allein hierin liegt ein enormes Wertsteigerungspotenzial für Data-Warehouse-Umgebungen. Darüber hinaus lassen sich die angereicherten Informationen als Service in operative Prozesse einbetten. Damit bekommen Prozesse einen räumlichen und zeitlichen Bezug, und es eröffnen sich Chancen zur Prozessinnovation bis hin zu neuen Geschäftsideen: der richtige Kunde kann jetzt zur richtigen Zeit am richtigen Ort angesprochen werden. jf

 

Der Autor:

Wolfgang Martin ist unabhängiger Analyst im Wolfgang Martin Team, Mitglied des CRM-Expertenrats und im Boulder BI Brain Trust.

Wolfgang Martin ist unabhängiger Analyst im Wolfgang Martin Team, Mitglied des CRM-Expertenrats und im Boulder BI Brain Trust.

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