SAP-Technikvorstand im Exklusiv-Interview

SAP S/4HANA senkt die Kosten von SAP-Systemen um bis zu 35 Prozent, berichtet SAP-Technikvorstand Bernd Leukert. Hebel sind der Rückbau von Modifikationen und deren Auslagern in eine eigene Schicht. (Siehe dazu die Einschätzung von SAP-Nation-Autor Vinnie Mirchandani)

Wann und in welchem Umfang wird SAP S/4HANA erscheinen, und wann werden welche Branchenlösungen dafür verfügbar sein?

SAP-Bernd-Leukert

Bernd Leukert ist Mitglied des Vorstands und Global Managing Board der SAP SE.

Bei SAP S/4HANA handelt es sich um eine Produktfamilie, und der Funktionsumfang ist in den Varianten Public Cloud, Managed Cloud und on premise nicht notwendigerweise identisch. In der Public Cloud Variante haben wir im ersten Quartal die Module für SAP Simple Finance und SAP Simple Logistics freigegeben. Diese Kernlösung kann komplementiert werden durch die Cloud-Lösungen von SuccessFactors für Mitarbeitermanagement, die Ariba-Lösung für den Einkauf und die Concur-Lösung für Reisekostenabrechnung. Somit bieten wir in der Public Cloud mehr als jeder Mitbewerber.

Wie sieht es in der HANA Enterprise Cloud aus?

Bei der HANA Enterprise Cloud handelt es sich um eine Managed Cloud, die in Deutschland in unserem Rechenzentrum in St. Leon Rot läuft, aber auch in weiteren Rechenzentren der SAP weltweit. Hier werden wir im zweiten Quartal dieses Jahres den Basiscode von S/4HANA verfügbar machen, und eine Möglichkeit bieten, Kundenmodifikationen durch das Erweiterungskonzept in S/4HANA oder über die SAP HANA Cloud Platform abzubilden. Ein System ohne die kundenindividuellen Modifikationen stellt eine massive Vereinfachung des Betriebs dar.

Was passiert mit dem Customizing der Kunden?

Im Gegensatz zur SAP Business Suite on HANA wollen wir mit SAP S/4HANA in der HANA Enterprise Cloud keine Kundensysteme samt aller Modifikationen eins zu eins übernehmen. Stattdessen wollen wir ein modifikationsfreies Basissystem hosten, an das wir die Modifikationen und Erweiterungen über das in S/4HANA enthaltene Extension Framework anbinden. Sofern die Kunden umfangreiche Industrie-Applikationen an ihr System angebunden haben, können sie diese künftig in der HANA Cloud Plattform betreiben. Über Programmschnittstellen machen wir sämtliche Stamm- und Bewegungsdaten in der HANA Cloud verfügbar. Dem separat laufenden Kernsystem können wir – so wie es in der Cloud üblich ist – alle drei Monate neue Funktionalitäten hinzufügen.

Wie wollen Sie die kundenindividuellen Modifikationen vom Kernsystem trennen?

Wir haben eine Service Factory aufgebaut, die sämtliche Modifikationen in Kundensystemen unter die Lupe nimmt und zunächst in mehrere Kategorien aufteilt. Der erste Teil sind solche Anpassungen, die zwar im System vorhanden sind, aber gar nicht mehr genutzt werden. Diese können komplett entfallen. Nach unseren Erfahrungen ist das ein erstaunlich hoher Prozentsatz. Die zweite Kategorie betrifft Anpassungen, die Kunden vor langer Zeit gemacht haben, die sich inzwischen aber im Standard abbilden lassen. Diese werden in den Systemstandard zurückgeführt. Die dritte Kategorie sind Modifikationen, die auch heute noch unverzichtbar sind. Diese verlagern wir ins Extension Framework oder bilden sie in der HANA Cloud Platform ab.

Laufen die Modifikationen in der HANA Cloud oder on premise?

Zunächst mal laufen sie auf der HANA Cloud Plattform und können ins Rechenzentrum der Kunden integriert werden. Sollte es sich herausstellen, dass Unternehmen diese Erweiterungen in ihrem eigenen Rechenzentrum hosten wollen, dann werden wir im nächsten Jahr darüber nachdenken, einen HANA-Cloud-Connector für on-premise-Installationen anzubieten. Alle Erweiterungen können heute schon in Cloud- oder on-premise-Systeme integriert werden.

Soll die Trennung von Kernsystem und Erweiterungen auch bei on-premise-Systemen stattfinden?

Wir wünschen uns, dass der Kunde den von uns vorgeschlagenen Weg geht, und die Modifikationen so weit wie möglich zurückführt und den verbleibenden Rest in das Extension Framework verschiebt. Die Werkzeuge sind vorhanden, um diese Altlasten zu beseitigen. Es handelt sich um einen einmaligen Aufwand. Allerdings hat bei einem on-premise-System der CIO das Sagen. Wenn er seine Modifikationen im System lassen will, so kann er das tun.

Verzichtet ein Unternehmen auf einen Teil der Vereinfachungen, wenn es den von der SAP vorgeschlagenen Weg nicht mitgeht?

Wer die Modifikationen im System lässt, verzichtet darauf, dass er jedes Quartal die von der SAP gelieferten Innovationen ohne Code-Abgleich einspielen kann. Viele Kunden spielen Support Packs heute mit großer Verspätung ein, weil der Code-Abgleich und die Tests bei ihnen einen enormen Aufwand verursachen. Wenn diese Unternehmen ihr SAP-System einmal aufräumen, reduziert sich der Testaufwand künftig auf ein Minimum.

Das Customizing von SAP-Systemen haben in der Vergangenheit oft SAP-Partner durchgeführt. Wie überzeugen Sie diese zum Verzicht auf Modifikationen, wenn sich dadurch ihr eigenes Projektgeschäft mindert?

Wir überzeugen die Partner davon, dass das permanente Customizing den Kunden keine Vorteile bringt. Einen höheren Nutzen bringt es, ein System daraufhin zu überprüfen, welche Modifikationen entfallen können, welche sich inzwischen im Standard abbilden lassen, und welche sich ins Extension Framework verschieben lassen. Dafür haben wir künftig einen so großen Bedarf, dass wir aktiv auf die Partner zugehen und ihnen Geschäft vermitteln. In den kommenden zwei bis drei Jahren erwarte ich einen Nachfrageschub für Beratung, allerdings wird die Leistung dabei ganz anders aussehen als früher.

 Mit S/4 HANA versprechen Sie eine durchgängige Vereinfachung der Systeme. Wie funktioniert das technisch?

Hier arbeiten wir auf mehreren Ebenen. S/4HANA ermöglicht einen Verzicht auf die bisher notwendigen Aggregate und verschlankt dabei die Systeme. Des Weiteren verzichten wir bei S/4HANA auf redundante beziehungsweise überlappende betriebswirtschaftliche Funktionalität. So gab es beispielsweise im Modul Finance das Classic Ledger und das New General Ledger, und im Warehouse Management das klassische und das Extended Warehouse Management. Künftig werden wir bei solchen Funktionen ausschließlich die modernere und umfangreichere Variante anbieten. Damit vereinfachen wir das Datenmodell weiter und eliminieren redundante Funktionalität, ohne dem Kunden betriebswirtschaftliche Funktionalität wegzunehmen. Wir räumen also in S/4HANA das System auch selbst auf.

S/4HANA reduziert den Umfang des SAP-Systems auf 10 Prozent der vorherigen Größe. In welchem Umfang sinken dabei die Betriebskosten?

Wir haben erste Benchmark-Studien mit Systemen gemacht und dabei Kostenvorteile zwischen 30 und 35 Prozent bezogen auf die Gesamtkosten gemessen. Sie entstehen durch die Vereinfachung des Datenmodells, weniger Kompatibilitäts-Checks im System, geringere Backup-Aufwände und niedrigere Hardware-Ausgaben. Die Reduktion des Systemumfangs auf 10 Prozent ist übrigens ein Durchschnittswert. Es gibt auch Systeme, wo wir glauben, eine Reduktion um den Faktor 15 oder 20 zu schaffen. Das hat dann signifikanten Einfluss auf die Betriebskosten.

Wie sehen die Lizenzbedingungen aus für eine schrittweise Migration zu SAP HANA? Muss der Kunde dann sowohl für die In-Memory-Datenbank als auch für die relationale Datenbank Lizenzen und Wartung bezahlen?

Bislang war genau das der Fall. Wenn ein Kunde beispielsweise mit SAP BW on HANA startet, und den Rest des Systems mit einer relationalen Datenbank fährt, haben deren Hersteller für diese Verringerung der Nutzung nur sehr geringe Rabatte angeboten, um den Wechsel zu SAP HANA möglichst unattraktiv zu machen. Wir haben nun ein Bündel an Datenbanklizenzen geschnürt, das SAP HANA enthält sowie Sybase ASE und Sybase IQ. Kunden, die SAP Business Suite powered by SAP HANA nutzen, können die Lizenzen für Oracle, IBM oder Microsoft abkündigen, und die Systemteile der Suite entweder unter SAP HANA laufen lassen oder alternativ und ohne Mehrkosten unter Sybase ASE oder im Rahmen von SAP HANA Dynamic Tiering unter Sybase IQEs verbleibt ein Migrationsprojekt der bisherigen relationalen Datenbank. Dafür stellen wir Tools bereit, die diesen Schritt weitgehend automatisieren. Wir haben außerdem in Zusammenarbeit mit unserer Service-Organisation ein Verfahren mit Near Zero Downtime entwickelt, das den Systemstillstand auf ein Minimum reduziert.

Die meisten Innovationen von S/4HANA beruhen auf der In-Memory-Datenbank. Welche Verbesserungen bekommen die Nutzer anderer Datenbanken?

Die SAP Business Suite werden wir bis 2025 pflegen, und zwar nicht nur mit Bugfixes, sondern auch mit neuen Funktionen. Funktionalitäten, die keine HANA-spezifischen Eigenschaften brauchen, stellen wir auch für andere Datenbanken zur Verfügung. Ein Beispiel hierfür ist die überarbeitete User-Interaktion über SAP Fiori. Dies gilt allerdings nicht für alle SAP Fiori Interfaces. Dort wo transaktionale und analytische Abläufe  verschmelzen, sind traditionelle Datenbanken einfach zu langsam. Oder dort, wo wir Geodaten nutzen, um bei einem Service-Auftrag dem Techniker dem Weg zum Kunden zu weisen. Eine Datenbank ohne Geo-Informationen kann so etwas nicht leisten.

In welchen Schritten bekommen die traditionellen Datenbanken die Innovationen?

Innovationen entwickeln wir zunächst für SAP HANA und machen dann nach drei bis fünf Monaten einen Teil davon für andere Datenbanken verfügbar. Welche Innovationen dafür in Frage kommen, prüfen wir in jedem Quartal, dann bringen wir diese über Enhancement Packs in den Markt. Das nächste Enhancement Pack für relationale zeilenbasierte Datenbanken wird Anfang 2016 erscheinen.

Bekommen Datenbanken wie IBM DB2 BLU mehr Innovationen wie relationale Datenbanken, weil sie über In-Memory-Funktionalität verfügen?

Nein. Entweder ist eine Datenbank ebenso leistungsfähig wie SAP HANA, dann bekommt sie alle Funktionen. Oder sie ist es nicht, dann bekommt sie nur die Funktionen für Standard SQL. Wir arbeiten mit diesen beiden Gruppen und machen keine weiteren datenbankspezifischen Unterschiede. Das würde die Kapazität unserer Entwicklung sprengen.

Nun könnten ja IBM oder Oracle diese Funktionen selbst hinzufügen.

Ja, dazu haben wir sie in die Competence Center eingeladen. Sie könnten auch Funktionen hinzufügen, die unsere Plattform nicht hat, indem sie beispielsweise selbst Stored Procedures hinzufügen.

Best-of-Breed Anwendungen verzeichnen in der Cloud gerade eine hohe Nachfrage. Wie offen ist die HANA-Cloud gegenüber Applikationen von Drittanbietern?

Sehr offen. Wir wollen Drittanbieter gern auf unserer Plattform haben. Im Analytics-Bereich konkurriert beispielsweise Birst mit den SAP-Angeboten und bietet seine Applikation auf der HANA-Cloud-Plattform an. Die HANA Cloud ist für Partner der SAP und auch für unsere Wettbewerber offen.

S/4HANA ist eine Innovation auf der Plattform-Seite. Wie unterstützt die SAP Unternehmen dabei, aus der Plattform-Innovation eine Business-Innovation zu machen?

Die Business Innovation ist unser oberstes Ziel. Wir haben eine Plattform gebaut, um die Software zur Unterstützung bestehender Geschäftsprozesse grundlegend zu erneuern. Darüber hinaus erstellen wir komplett neue Anwendungen, die Kunden auf ihrem Weg in die Digital Economy unterstützen. Ein Beispiel dafür sind unsere Industrie-4.0-Anwendungen. Die Plattform ist wichtig, wichtiger ist allerdings der Business Mehrwert. Dieser entsteht entweder dadurch, dass wir bestehende Prozesse verschlanken und effizienter machen, oder durch komplett neue Prozesse. Die Anwendungen dafür müssen immer mit dem Nukleus S/4HANA integriert sein. Sonst würde ein Medienbruch entstehen, und das wollen wir unbedingt vermeiden. Wenn ein Unternehmen beispielsweise erkennt, dass eine bestimmte Maschine eine Wartung benötigt, soll es per Mausklick den Techniker beauftragen und ihm die Anfahrtsroute auf sein Mobilgerät schicken können. Das klappt nur mit einer sehr engen Integration. jf

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