Virtualisierung flexibilisiert Betrieb von SAP-Systemen

Virtualisierung gilt bei SAP-Systemen als Rezept gegen hohe Hardware-Kosten. Diese Sicht propagiert laut der VMS AG einen naheliegenden, aber keineswegs den größten Vorteil dieser Technologie. (Ausgabe 6+7/2013)

Bei den SAP-Anwendern ist die Virtualisierung sehr beliebt. Das zeigt die diesjährige Investitionsumfrage der deutschsprachigen SAP-Anwendervereinigung DSAG, nach der Virtualisierung mit 71 Prozent der Nennungen einen der Investitionsschwerpunkte der Mitglieder darstellt. „Unseren Schätzungen nach nutzt mehr als die Hälfte der SAP-Installationen zumindest teilweise die Virtualisierung, mit schnell steigender Tendenz“, berichtet Ralph Treitz, Vorstand des SAP Benchmarking-Dienstleisters VMS AG. „Kleinere Systeme werden fast immer virtualisiert, lediglich bei größeren Installationen scheuen einige Unternehmen noch vor dieser Technologie zurück.“
SAP-Vorstandssprecher Jim Hagemann Snabe hatte auf der Sapphire 2012 in Madrid verkündet, dass sämtliche bestehenden und neuen SAP-Lösungen einschließlich SAP HANA für die Virtualisierung gerüstet sind. Zur Unterstützung deses Architekturwandels bieten die Walldorfer ein umfangreiches Portfolio an Tools, darunter den SAP Landscape Virtualisation Manager sowie die SAP Virtual Application Factory.

Die Infrastruktur-Kosten schrumpfen um 46 Prozent

Der offensichtliche Vorteil der Virtualisierung sind die Infrastruktur-Kosten, beispielsweise für Server, Storage, sowie die dazugehörige Systemsoftware, die im Schnitt um 46 Prozent sinken. Betrachtet man nur die Server-Hardware, sind sogar bis zu 86 Prozent Einsparungen zu erzielen. Das zeigt eine Studie, welche die VMS AG im Auftrag von SAP, Cisco, EMC und VMware erstellt hat. Allerdings sind diese Aufwendungen lediglich für einen Bruchteil der Gesamtkosten eines SAP-Systems verantwortlich, wie Treitz klarstellt: „Das Investment in Server-Hardware macht typischerweise rund vier Prozent und die Kosten für deren Betrieb rund sieben Prozent des Gesamtaufwands für den Betrieb eines SAP-Systems aus“, erklärt Treitz. „Die Einsparungen bei der reinen Hardware-Investition betragen demnach 86 Prozent von den erwähnten vier Prozent, in Summe also 3,4 Prozent des Gesamtbetrags.“
Diese Kostensenkung kommt daher, dass bei der Virtualisierung das oftmals beobachtete Oversizing der Hardware, also das Vorhalten zusätzlicher Serverkapazitäten für sporadisch auftretende Lastspitzen, entfällt. Stattdessen lassen sich freie Ressourcen mit einem relativ geringen Aufwand oder sogar automatisch umwidmen und derjenigen Lösungskomponente zuweisen, die gerade eine Lastspitze hat.

Hardware und Software werden entkoppelt

Den weitaus wichtigeren Vorteil der Virtualisierung stellen laut Treitz die Dynamik und Flexibilisierung dar, die sich mithilfe der Virtualisierung erreichen lassen: Schulungs- und Testsysteme ließen sich dank der Virtualisierung deutlich einfacher und schneller erstellen und in Betrieb nehmen als vorher. Testdaten ließen sich bequem sichern und für neuerliche Testläufe wieder einspielen. „Virtualisierung legt eine Art Teppich über die Anwendungslandschaft, über den sich die Anwendungssoftware inklusive betriebssystemnaher Elemente wie Datenbanken von der Hardware entkoppeln lassen. In dieser Zwischenschicht können Anwender sehr schnell neue Instanzen erzeugen und diese kopieren oder verschieben.“ Das Klonen eines SAP-Systems sei heute eine Sache weniger Minuten. Früher hätte es oft mehrere Wochen gedauert, ein Testsystem auf einem physischen Server einzurichten, beginnend mit dem internen Beschaffungsprozess für einen zusätzlichen Server. Das führe nun zu erheblichen Einsparungen im Change-Management oder bei Upgrade-Projekten. In Summe können diese Stellschrauben in einer abgestimmten Virtualisierungslösung laut der VMS-Studie rund 13 Prozent der Gesamtkosten eines SAP-Systems einsparen.
Die technischen und finanziellen Vorteile der Virtualisierung stellen sich allerdings weder automatisch ein noch kommen sie in jedem SAP-System gleichermaßen zum Tragen: „Unter dem Strich ziehen in erster Linie SAP-Umgebungen mit dynamischen Leistungsanforderungen einen hohen Nutzen aus der Virtualisierung“, erläutert Treitz und verweist beispielhaft auf einen typischen Mobilfunkanbieter, der im Abstand weniger Wochen neue Preismodelle testet und diese in seinem SAP-System abbilden muss. Teilweise laufen mehrere solcher Projekte gleichzeitig. Ein solches Unternehmen zöge einen sehr hohen Nutzen aus der Virtualisierung. Eher statische Unternehmen, bei denen sich weder Auslastung noch Funktionalität des SAP-Systems kaum ändern, hätten demgegenüber einen deutlich geringeren Nutzen von der Virtualisierung.

Hinsichtlich der Wartung von Anwedungen sinken die Kosten

Um zu wissen, wo die lohnenswerten Ansatzpunkte in seiner Anwendungslandschaft zu finden sind, müssen sich Unternehmen im Detail kundig machen. Einen ersten Orientierungspunkt, um die unterschiedlichen Einflussfaktoren zu bewerten, bietet das TCO-Modell (Total Cost of Ownership) der SAP. „Dieses TCO-Modell und die von uns aus über 2 900 SAP-Systemen ermittelte Kostenverteilung zeigen, dass die wesentlichen Einflussblöcke in den Bereichen Application Operation, Continuous Improvement und Releasewechsel zu finden sind“, berichtet Treitz. „Wer die Gesamtkosten senken will, muss dafür sorgen, dass die Pflege der Anwendung günstiger wird. Hier entfaltet Virtualisierung eine ihrer größten Hebelwirkungen.“
Die identifizierten und bezifferten Vorteile der einzelnen Kostenblöcke müssen die IT-Architekten im Bezug zum Einfluss der jeweiligen Komponente auf die Gesamtbetriebskosten setzen, um das reale Sparpotenzial zu ermitteln.

IT-Administratoren brauchen zusätzliche Skills

Bei der Einführung der Virtualisierung sollte ein Unternehmen nicht außer Acht lassen, dass es sich damit eine weitere Schicht in der technischen Grundausstattung einhandelt. Für den Betrieb dieser Technologie sind zusätzliche Skills erforderlich. „Die Leistungshöhe, welche die Virtualisierung mit VM­ware auf einer modernen Hardware erbringt, steht dem nicht nach, was IBM früher mit Mainframes nach vielen Jahren Entwicklungsarbeit erbracht hat“, erläutert Treitz. „Um sämtliche Vorteile zu nutzen und Fußangeln zu vermeiden, müssen Administratoren allerdings auch an Kleinigkeiten tüfteln. Dadurch entsteht eine zusätzliche Komplexität.“ Da Virtualisierung weit verbreitet ist, liegen in den IT-Abteilungen Erfahrungen mit dieser Technologie vor. Laut Treitz sind die Kenntnisse aber meist nur auf die technische Nutzung bezogen, nicht aber auf die Optimierung der IT-eigenen Prozesse: „Die IT geht aus sich heraus oftmals lediglich den ersten technischen Schritt. Sie zieht kleine Instanzen auf einer Hardware zusammen. Aber den Schritt der automatischen Provisionierung von SAP-Systemen sind nur wenige Unternehmen gegangen. Dieses Einsparpotenzial liegt vielerorts noch brach.“ Die für die Virtualisierung erforderlichen Kenntnisse können sich die Unternehmen beispielsweise an der SAP University holen. Bei Bedarf kommt die SAP Schulung laut Treitz sogar zu den Unternehmen vor Ort.

Die Gesamteinsparungen betragen im Schnitt zwischen 12 und 14 Prozent. Pro Kostenblock liegen sie allerdings unterschiedlich hoch. (Quele: VMS AG)

Die Gesamteinsparungen betragen im Schnitt zwischen 12 und 14 Prozent. Pro Kostenblock liegen sie allerdings unterschiedlich hoch. (Quele: VMS AG)

Sämtliche Komponenten sollten zertifiziert sein

Nicht nur in größeren Installationen muss das Zusammenspiel sämtlicher Virtualisierungstechniken im Speicher- und Serverbetrieb garantiert sein. Ist dies nicht der Fall, schieben sich bei Problemen möglicherweise die Hersteller der einzelnen Komponenten gegenseitig die Verantwortung für den Fehler zu. Eine Zertifizierung sämtlicher Produkte untereinander ist daher unverzichtbar, wie Treitz erläutert: „Nicht jedes Filesystem und nicht jede Linux-Variante ist für die Virtualisierung zertifiziert. Insbesondere in Sachen Produktkombinationen müssen die IT-Architekten sehr genau hinschauen.“ Ein früheres Problem im Support habe sich inzwischen entspannt: „In den Anfängen haben sich bei der Virtualisierung sowohl die SAP als auch die Hersteller der Datenbanken darauf zurückgezogen, dass die Unternehmen einen in der Virtualisierung auftretenden, aber unbekannten Fehler zunächst in der realen, sprich nicht virtualisierten Umgebung nachbauen mussten. Mittlerweile akzeptiert und behebt der Support die Fehler direkt in den virtuellen Umgebungen.“
Bei der Produktwahl der Virtualisierungskomponenten haben die Unternehmen inzwischen eine reiche Auswahl. Als Platzhirsch habe sich VMware etabliert. „VMware hat sich die vollständige Virtualisierung des Rechenzentrums aufs Panier geschrieben“, erklärt Treitz. „Entsprechend leistungsfähig, aber auch komplex ist deren Produktportfolio geworden. XEN hingegen hat ein wenig Nischencharacter mit der Ausrichtung einerseits auf Desktop, andererseits aber auch für SAP HANA. Und Microsoft denkt vorrangig in seiner eigenen Plattform. Technisch lässt sich darin zwar auch Linux integrieren, aber das machen nach meiner Beobachtung bislang nur wenige Anwender.“

SAPs-Rechnungen taugen nicht fürs Sizing

Ein wichtiges Thema bei der Virtualisierung ist die Dimensionierung der Serverlandschaft, das sogenannte Sizing. Die Virtualisierung fordert als zusätzliche technische Ebene ihren Tribut und schluckt  nach VMS-Erfahrungen rund sieben Prozent der verfügbaren Ressourcen. Das sei deutlich weniger als die normalen Schwankungen durch unterschiedliches Nutzerverhalten. Klassischerweise ermitteln die Server-Hersteller anhand von SAP-User-Kennzahlen, Mengengerüsten und Benchmarks wie SAPs (SAP Application Performance Standard), mit wie viel Arbeitsspeicher, Prozessoren, Festplatten und Netz-Ressourcen ein Server ausgerüstet werden muss, damit er die geforderten Aufgaben reibungslos bewältigt. Diese Art von Sizing bringt für die Virtualisierung kaum Erkenntnisse, wie Treitz berichtet: „Beim SAPs-bezogenen Sizing geht die Betrachtung der Dynamik in den Anwendungen vollkommen verloren. So werden einerseits Einsparungen nicht realisiert, die genutzt werden können, wenn sich Lastspitzen zu unterschiedlichen Zeiten ergeben und damit eine optimale Hardwarenutzung gegeben ist. Andererseits wird aber auch das Risiko nicht abgefangen, dass schlimmstenfalls alle Applikationen zur gleichen Zeit Last erzeugen.“ Nötig sei stattdessen eine Auslegung, die sich an der konkreten Vermessung der Dynamik in der SAP-Landschaft eines Kunden orientiert. Die VMS AG bietet ein derartiges Sizing als Dienstleistung an.

In Sachen Ausfallsicherheit bringt VMware Vorteile

Eng verbunden mit dem Sizing ist das Thema Ausfallsicherheit. Da bei der Virtualisierung mehrere Systeminstanzen auf einem physischen Server arbeiten, hat dessen Ausfall auf den ersten Blick ein deutlich höheres Schadenspotenzial als in der klassischen Architektur, wo idealerweise jedes SAP-Modul seinen eigenen Server hat. Für Ausfallsicherheit sorgen im traditionellen Verbund Cluster, in denen beim Ausfall eines Servers ein anderes Gerät dessen Arbeit übernimmt. In der Praxis ist die Virtualisierung in Sachen Ausfallsicherheit im Vorteil, wie Treitz erklärt: „Die Fehleranfälligkeit von Cluster-Lösungen ist enorm hoch. Einigermaßen ausfallsichere Lösungen lassen sich nur mit zwei identischen Servern aufbauen. Das wiederum erfordert deutlich mehr Hardware, als die Unternehmen in Bezug auf ihr Lastprofil eigentlich brauchen.“ VMware bietet hier als Alternative die Komponente vMotion an. Fällt hier ein physischer Server aus, wandern die virtuellen Maschinen im laufenden Betrieb ohne Zutun eines Administrators auf ein Ersatzgerät. „Im Fehlerfall reagiert das System einen kurzen Moment lang nicht, dann migrieren die virtuellen Maschinen, und die Anwender können weiterarbeiten“, erläutert Treitz. Diese Art der Automatisierung sei in einem Cluster nicht gegeben. Hier lasse sich lediglich im Fehlerfall idealerweise eine SAP-Instanz wieder hochfahren.

Kosten für Datenbank-Lizenzen gehen schnell nach oben

Gedanken machen müssen sich die IT-Architekten bei der Virtualisierung um die Lizenzierung der Software. Die Lizenzen aus der physischen Welt lassen sich auf einen virtuellen Verbund nicht 1:1 übertragen. Unter dem Strich wird es dabei teurer, wie Treitz warnt. Zu den schwierigsten Fällen gehören Altverträge von Oracle-Datenbanken, bei denen sich die Gebühren nach der Leistungsfähigkeit der Server richten. „Diese Verträge müssen komplett neu verhandelt werden. Oracle ist hier kein einfacher Fall, denn dieser Hersteller kommt den Unternehmen freiwillig kaum entgegen. Kunden sollten die Vertriebsbeauftragten dann wissen lassen, dass andere Hersteller Lizenzmodelle haben, die hier besser passen, und Datenbanken, die ähnlich leistungsfähig sind.“
In der Gesamtschau trübt die Erhöhung der Lizenzkosten die positive Bilanz der Virtualisierung nur wenig ein: „Unternehmen, die ihre Hausaufgaben machen und die Virtualisierung als Teil einer Gesamtarchitektur nutzen, werden reichlich belohnt“, erklärt Treitz. „Durch den Umstieg auf eine vollständig virtualisierte IT-Umgebung können sie zwischen 12 und 24 Prozent des Gesamtaufwandes sparen.“ Die eingangs genannten Sparpotenziale bei der Hardware bestehen zwar, aber in Wahrheit schreie Virtualisierung nach größeren Rechenzentren: „Je größer die Rechenzentrumsplattform ist, desto besser lässt sich die Flexibilität der Virtualisierung ausnutzen.“ Der Idealfall sei ein Outsourcer, der seinen Kunden eine Private Cloud zur Verfügung stellt. „Wenn hier ein Unternehmen vier Systemkopien einer ganzen Landschaft für Tests braucht, dann diskutiert man nicht über zusätzliche Hardware, sondern die nötigen Server werden automatisiert zugeschaltet. Braucht das Unternehmen nach 14 Tagen die Testsysteme nicht mehr, werden sie abgeschaltet. Die Hardware verschwindet, und der Kunde zahlt nur für die tatsächliche Nutzung.“  jf

Die Vorteile und Nachteile der Virtualisierung

Vorteile:
• Bessere Auslastung der Hardware (Server, Storage)
• Potenziell geringerer Bedarf an Hardware und damit Kosteneinsparungen
• Schnellere und flexiblere Bereitstellung von IT-Ressourcen in Form von virtuellen Servern
Nachteile:
• Komplexität und Einarbeitungsaufwand in eine neue Softwareschicht.
• Höhere Anforderungen für Verwaltung, Backup und Security
• Teilweise komplexe Lizenzbedingungen und damit Kostenrisiken für Software in virtualisierten Umgebungen

 

Der Experte:

„Der größte Vorteil der Virtualisierung ist die Flexibilisierung des IT-Betriebs“, erläutert Ralph Treitz, Geschäftsführer des SAP-Dienstleisters VMS AG. „Am meisten profitieren SAP-Systeme mit dynamischen Leistungsanforderungen.“

„Der größte Vorteil der Virtualisierung ist die Flexibilisierung des IT-Betriebs“, erläutert Ralph Treitz, Geschäftsführer des SAP-Dienstleisters VMS AG. „Am meisten profitieren SAP-Systeme mit dynamischen Leistungsanforderungen.“

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